Uraufführung am Deutschen Theater: die Theatralisierungvon Thomas Brussigs Wende-Roman " Helden wie wir".
Als die Panzer im August 1968 Richtung Tschechoslowakai
rollen, erblickt in der DDR ein Kind das Licht der Welt. Die Eltern geben ihm den schönen Namen Klaus, doch der Junge ist da mit nicht zufrieden, denn der Vorname liegt, wie es in Thomas Brussigs 1995 erschienenen Erfolgsroman heißt, jenseits der Grenze des Zumutbaren". Zu allem Überfluß reimt sich für den Ich-Erzähler Klaus auch noch auf Haus und Maus: "Putzig, nicht wahr?" - Nicht wahr! Denn diese Unzufriedenheit mit dem Vornamen kommt aus einer tiefen Unkenntnis der Etymologie, jener seltenen Gabe, die Sprache an ihren Wurzeln zu lieben: Klaus ist die Kurzform von Nikolaus und bedeutet im Altgriechischen "Der über das Volk Siegreiche". Nomen est omen. Die Eltern haben bereits im zarten Kindesalter die spätere Heldentat des Sohnes antizipiert. Ihr Kläuschen wird die Bürger der DDR aus der Agonie des Sozialismus befreien.
Klaus Uhltzscht tritt als 21jähriger Stasi-Informant aus der Mitte des Volkes und führt die Scharen, die lang gefangen waren, in die Vereinigung der beiden deutschen Staaten. Er versetzt der DDR mit seinem "Pinsel" den entscheidenden Todesstoß. Am 9. November 1989 regierten Eros und Thanatos, nicht der reformwillige Schabowski oder greise Mitglieder des Politbüros. Das Ende des Arbeiter- und Bauernstaates war also keine Frage der Ökonomie und leeren Kassen, sondern einfach das lustvolle Ausleben von aufgestauten Triebenergien. Thomas Brussigs Wenderoman Helden wie wir wurde mit hymnischen Kritiken bedacht und
kletterte in den Bestsellerlisten Ostdeutschlands auf den ersten Platz. Der Regisseur Peter Dehler hat den kühnen Versuch unternommen, Brussigs DDR-Satire für die Bühne zu bearbeiten. In Dehlers Adaption handelt Brussigs Entwicklungsroman von Lernjahren des Sexus. Vom kleinen, schüchternen Onanisten bis zum potenten Macho spannt sich der Bogen des Begehrens. Als der Sozialismus unmittelbar vor dem Kollaps steht, wächst Klaus Uhltzscht ein überdimensionaler Penis. Wie es sich für einen über das Volk Siegreichen gehört, erliegt der virile Klaus nicht den Verlockungen des sexuellen Egoismus, sondern stellt seine Manneskraft in den Dienst der Allgemeinheit. Mit der Stärke seiner Lenden schiebt er die Berliner Mauer einfach weg.
Bis zum Fall der Mauer ist die DDR eine spartanisch ausgestattete Landschaft (Bühne und Kostüme: Ulv Jakobsen) in ausgewaschenen gelb-grünen Farbtönen. Ein grauer Stuhl und eine Treppe, auf dem das Gestänge eines goldenen Käfigs aufgesetzt ist, markieren ein enges, kleinbürgerliches Paradies. In diesem irdischen Garten Eden bleibt dem Protagonisten nur die Flucht in die Skurrilität und den Sexus.
Wenn Klaus Uhltzscht wieder die Frau trifft, die ihn zum Mann gemacht hat, treibt die Aufführung selbstzufrieden auf dem Niveau von Männerwitzen dahin. Und weil die misogynen Scherze dem Publikum so viel Freude machen, darf Götz Schubert die Männerphantasien eines ostdeutschen Machos mit allen Übertreibungskünsten vorführen. Er vergleicht den Körper der einstigen Geliebten mit verschiedenen Wurstsorten, von der geliebten Bockwurst über Bierschinken bis hin zur Sülze zieht sich die Fleischbeschau. Zu den "zwei Titten", die der Erotomane unter Marinas Kleid erahnt, fällt dem ostdeutschen Kläuschen der umgrölte Vergleich von der "Brust-Sülze" ein. Mit solchen Sachen kann man dem Publikum in den Kammerspielen eine große Freude machen.
Doch damit ist noch nicht der Tiefpunkt der Geschmacklosigkeit erreicht. Klaus Uhltzscht entpuppt sich als fröhlicher Sodomist, der endlich einmal wissen will, was ein "Hühnerficker" ist. Mit einem gerupften
Huhn betritt der enthemmte Akteur die Bühne und erörtert frohen Mutes die Stellungen mit einem "Broiler". Und wer das wahre Ende der DDR verstehen will, muß noch tiefer hinabsteigen in das dunkle Reich der ostdeutschen Sexualnöte. Als erotischer Entrepreneur erklärt Klaus Uhltzscht den Niedergang des Sozialismus mit der Tatsache, daß sich sein perverses Potential wie ein subversives Gift in den Körper der DDR-Führung eingedrungen sei und diese handlungsunfähig gemacht habe. Daß die Stasi in diesem Rückblick nur als doofe Truppe vorkommt, über deren Stumpfsinn man sich lachend auf die Schenkel schlägt, fügt sich lückenlos in das Bild einer allzu harmlosen Geschichtsbetrachtung.
Peter Dehlers Uraufführung betont vor allem die Satirequalitäten von Brussigs Helden wie wir. Das Kabarett regiert in den Kammerspielen wie ein feister König. Dieses Götz-Schubert-Solo wirft die traditionelle Ästhetik des Deutschen Theaters als verfluchte Altlast über Bord. Wie sehr die Menschen unter dem Sozialismus gelitten haben, ist auch daran zu erkennen, daß sie nach gut fünf Jahren Wiedervereinigung selbst die erbärmlichsten DDR-Pointen mit schallendem Gelächter quittieren.
Weitere Termine: 5., 7 und 30. Mai, Kammerspiele des Deutschen Theaters.
Klaus Dermutz: Männerphantasien im dunklen Reich der sexuellen Nöte, in: Frankfurter Rundschau vom 2.5.1996.