Im Volkstheater hat heute "Helden wie wir" nach dem Roman von Thomas Brussig Premiere
Er ist ein Versager. Ein Flachschwimmer, Toilettenverstopfer, kleiner Trompeter, Totensonntagsfick, Stasispitzel, Perversionsforscher. Und doch hat Klaus Uhltzscht geschafft, was fälschlicherweise immer dem "Volk" zugeschrieben wird: Er hat 1989 die Mauer geöffnet. Mit der schieren Kraft seines zu monströsen Ausmaßen angeschwollenen Zentralorgans.
Alles Quatsch? Ja und nein. Thomas Brussig ist mit seinem Roman Helden wie wir vor drei Jahren ein Überraschungserfolg gelungen; die Satire über eine verklemmte Jugend in der DDR ist in Ostdeutschland längst zum Kultbuch geworden. Nicht ohne Grund: Die Beichte des Klaus Uhltzscht - Mutter Hygieneinspektorin, Vater "im Außenhandel" - ist witzig, obszön (das eine hängt, zugegeben, mitunter ursächlich mit dem anderen zusammen) und beleuchtet nicht nur grell die Miefigkeit des DDR-Alltags, sondern auch die Ursachen für eine typische Mitläufer-Karriere bei der Stasi.
"Wenn ein Kind zu sehr von den Eltern bewacht wird und sich keinen eigenen Raum schaffen kann, kommt es später zu einem Überdruck", sagt Stefan Spies, der die Bühnenfassung von Peter Dehler jetzt für das Volkstheater inszeniert. Die Konstruktion des Buches sei stimmig: "Einer, der immer unterdrückt wurde, will raus. Klaus Uhltzscht will ja immer der erste sein. Und so ein Machtdenken hat viel mit verdrängten Dingen zu tun." Keine einfache Figur, dieser Klaus Uhltzscht. Und keine einfache Angelegenheit, seine Geschichte auf die Bühne zu bringen: Schließlich ist das Buch - und folglich auch die Bühnenfassung - ein Monolog.
Ein Schauspieler, Ulrich Kielhorn, wird also zwei Stunden lang von sexuellen Obsessionen und politischen Verstrickungen erzählen. Während der (Maul-) Held allerdings im Buch einem Journalisten der New York Times ein Interview gibt, um endlich berühmt zu werden, erzählt er dies alles auf der Bühne dem Publikum - bei einem Herbst-Spaziergang durch den Park. Der Herbst, so Regisseur Spies, sei ja nicht nur die Zeit des Mauerfalls gewesen, sondern überhaupt eine Zeit, "in der man melancholisch wird und zurückdenkt". Viel "Brimborium" um Raum und Requisiten werde es jedenfalls nicht geben, sagt Spies: "Ich will nichts doppelt erzählen - das soll in der Phantasie der Zuschauer entstehen."
An der Bühnenfassung von Peter Dehler, die bisher am Deutschen Theater in Berlin und in Dresden aufgeführt wurde, hat der 32jährige Regisseur, der in den vergangenen Jahren vor allem am Staatstheater Oldenburg inszeniert hat, nur wenig geändert: "Ich habe ein paar Längen und Wiederholungen rausgenommen und Handlungsfäden reingenommen, die mir gefehlt haben." Insgesamt findet er das Stück "kompakter und stringenter" als das Buch selbst. Daß es allerdings nicht ganz einfach ist, die Stasi-Problematik angemessen in einer Komödie unterzubringen, ist ihm klar. Zwischen Ost- und West-Publikum sieht er dabei nur wenige Unterschiede - außer daß Namen wie Dagmar Frederick im Westen keiner, im Osten jeder kennt.
Letztlich weist das Stück aber über die DDR-Situation ohnehin weit hinaus. Zum Beispiel allein dadurch, daß "die Probleme mit der Sexualität jeder aus einem bestimmten Alter kennt", so Spies. Auch wenn es sich meist nicht so drastisch auswirkt: Die Leistung, zwei Staaten allein durch die Pracht männlichen Gehänges zu vereinen, bleibt wohl Klaus Uhltzscht allein vergönnt. (Premiere von "Helden wie wir": Volkstheater, Donnerstag, 29. Oktober, 19.30 Uhr.)
Antje Weber: Herbst-Spaziergang durch den Park, in: Süddeutsche Zeitung vom 29.10.1998.