Thomas Brussigs Bestseller "Helden wie wir" als Theaterstück in Berlin

Berlin Seit seinem Erscheinen im Herbst 1995 steht Thomas Brussigs "Helden wie wir" auf den Bestsellerlisten: ein satirischer, in den letzten zwölf Jahren der untergehenden DDR spielender Entwicklungs- und Wenderoman des 1965 in Berlin geborenen Schriftstellers. Eine provozierend freche, Gelächter herausfordernde Geschichte.

Jetzt stellt das Berliner Deutsche Theater im kleinen Haus der Kammerspiele eine vom Regisseur Peter Dehler geschickt komprimierte Bühnenfassung vor, in der die Prosavorlage ebenso simplifiziert wie von allzu großer Geschwätzigkeit befreit wird. Die Uraufführung wurde mit einverständigem Gelächter und Riesenapplaus aufgenommen. Der Beifall galt in erster Linie dem brillanten Solodarsteller Götz Schubert, bezog aber auch den Regisseur und die Gesamtinszenierung mit ein. Das bedeutet, den Bühnenbildner Ulv Jakobsen für eine vielseitig verwendbare, den symbolischen statt den realen Ort zitierende Bunker-Szenerie mit Treppe, Ausguck, begehbarer Mauer, Unterstand und Mauseloch; den Komponisten Thomas Schmidt und nicht zuletzt den anwesenden Autor.

Klaus Uhltzscht nennt Brussig seinen verklemmten "Helden", der mit einer Sturzgeburt 1968 zur Welt kam, als die sowjetischen Panzer in die Tschechoslowakei rollten. Er wächst unter den Fuchteln eines autoritären, mürrischen Stasi-Vaters und einer allzu betulichen Mutter, Medizinerin mit Hygiene-Tick, die den Sohn lebenslänglich als unselbständiges Kind behandelt, in einem unsäglichen DDR-Mief aus Prüderie und Mißtrauen auf. Er entwickelt sich, zwischen Minderwertigkeitskomplexen und Größenwahn hin- und hergerissen, zum perfekten Untertanen mit Machtgelüsten. Der Ich-Erzähler, der als Neunjähriger einen Wettbewerb für die "Meister von morgen" gewinnt, durch die Hölle der Pubertät geht und sich nicht nur wegen seines zu klein geratenen Geschlechtsteiles als Versager fühlt, tritt die Flucht nach vorn an und läßt sich von der Stasi anheuern.

Leser werden beim Theaterbesuch die Beschreibung der einzigen Begegnung mit einer Frau, die nicht Hure ist, vermissen oder die ironische Auseinandersetzung mit Christa Wolf, die für den Ich-Erzähler - wie wohl auch für den Autor - nicht gerade im positiven Sinne so etwas wie die Generation der Mütter in der DDR verkörpert. Doch die Bühnenversion entschärft auch einige politische Attacken, unterschlägt jedoch nicht die sexuelle Drastik.

So gewinnt die doppelbödige Schelmengeschichte eines jungen Mannes Bühnenleben, der bei der Demonstration am 9. November 1989 einen Unfall erleidet und nach einer Operation sein Geschlechtsteil von einer winzig kleinen Trompete in eine riesige Tuba verwandelt sieht. Damit will er am 9. November die Mauer zum Einsturz gebracht haben.

In den Kammerspielen gerät dieser abendfüllende Monolog nicht zur Sexualposse. Da triumphiert vielmehr ein komödiantischer Bühnenjux, dessen hintergründige Bedeutung dennoch nicht überspielt wird. Wie Götz Schubert im häßlich olivgrünen, schlecht sitzenden Anzug den zwielichtigen "Helden", der ohne Mauerfall vielleicht sogar hätte gefährlich werden können, als Ergebnis der Verletzungen in der Kindheit psychologisch entwickelt, entlarvt und auch noch alle in seiner Erzählung erwähnten Figuren mitspielt, wie er Körpersprache und theatralischen Textvortrag in eins zwingt, überwältigt durch atemberaubende Virtuosität und vitale Bühnenpräsenz. In seiner Generation gehört Götz Schubert zu den raren Schauspielern, die einen Abend im Alleingang tragen können.


Ingvelde Geleng: Triumph für Götz Schubert, in: WaS vom Sonntag, dem 5. Mai 1996.