Interview: Von Ludger Schulte und Kurt Röttgen, Süddeutsche Zeitung, 14./15.7.2007
SZ: Herr Brussig, hat Günter Grass Sie schon verklagt?
Brussig: Warum sollte er?
SZ: In einem Beitrag für den Berliner „Tagesspiegel“ verdächtigen Sie ihn des Dopings beim Bücherschreiben. Wie auch Martin Walser oder Daniel Kehlmann, im Prinzip die gesamte Literaturszene.
Brussig: Wenn Grass mit seinen fast 80 Jahren immer noch einen Bestseller nach dem anderen schreibt, die großartigsten Verrisse bekommt und öffentliche Debatten bestimmt, muss man mal genauer hinschauen. Das geht nicht nur mit Rotwein und Pfeifentabak, das sagt einem doch schon der gesunde Menschenverstand.
SZ: Sich selbst bezichtigen Sie, durch jahrelanges Dopen Familie und Leser belogen zu haben. Was haben Sie genommen?
Brussig: Alles. Ich habe mit Koffein und Vitaminen angefangen, habe es mit Höhen- und Bibliotheksluft versucht, aber das brachte nicht viel. Dann habe ich wild durcheinander gedopt, ich wusste oft selbst nicht, was es gerade war. Um es mit Jörg Jaksche zu sagen: Ich habe irgendwann nur noch meinen Arm hingehalten.
SZ: Ihrer Persiflage auf die jüngsten Doping-Geständnisse im deutschen Sport entnehmen wir, dass Sie eher amüsiert als entsetzt sind.
Brussig: Diese Bekenntnisse liefen im Stil einer Medieninszenierung ab. Die Parodie darauf habe ich in der Nacht nach Rolf Aldags Auftritt bei Maybrit Illner geschrieben. Davor hatte Erik Zabel sich ja schon mit tränenerstickter Stimme bei seinem zwölfjährigen Sohn für die Lügerei entschuldigt. Ensetzt bin ich natürlich nicht, das Thema kam ja nicht über Nacht. Mir tut`s leid um den Sport, um die Leistungsverzerrung.
SZ: Macht es Ihnen noch Spaß, im Fernsehen Leichtathleten oder jetzt bei der Tour de France Radfahrern zuzuschauen und sich dabei ständig zu fragen: Wer ist gedopt, wer nicht?
Brussig: Nein, schon seit geraumer Zeit nicht mehr. Und das ist ein Problem des Sports. Wenn ich einem Wettkampf zugucke, dann will ich sehen, wie der Beste gewinnt. Das heißt Chancengleichheit für alle. Aber die ist nicht gegeben, wenn Doping verboten ist und manche trotzdem dopen. Ziehe nun den kühnen Schluß, zu überlegen, ob man Doping nicht legalisieren sollte. Ich bin kein Insider, ich bin ein Zuschauer wie viele andere. Aber ich sehe eine doppelte Moral in der Dopingdiskussion: Wir wissen alle, was Leistungsdruck ist, nehmen irgendetwas und schaden damit womöglich unserer Gesundheit. Für Schriftsteller oder Journalisten keine verbotenen Substanzen. Der koksende Modefotograf ist ja auch so ein ewiges Thema. Sportlern erlauben wir nicht, daß sie ihrer Leistung nachelfen.
SZ: Wenn Doping legalisiert wird, siegen diejenigen, die das größte gesundheitliche Risiko in Kauf nehmen.
Brussig: Wenn Doping verboten bleibt, erst recht. Daß sich Doping nicht mit Verboten aus der Welt schaffen läßt, haben wir in den letzten 20 Jahren lerne müssen. Natürlich ist ein sauberer Sport die beste Lösung. Doch wenn man das nicht schafft, muss man die Strategie ändern. Nicht heimliches Spritzen auf einer Hoteltoilette, sondern ganz offiziell unter Aufsicht der Ärzte – darüber könnte man ja zumindest mal reden.
SZ: Dann reden Sie darüber mal mit Rica Reinisch, der dreifachen Schwimm- Olympiasiegerin 1980 in Moskau. Sie führt ihre Beschwerden wie ständige Entzündungen der Eierstöcke oder drei Herzmuskelentzündungen auf systematisches Kinderdoping in der DDR zurück.
Brussig: Kinder haben doch überhaupt nicht die Entscheidungsfreiheit. Sie zu dopen ist verbrecherisch. Erwachsene hingegen sind vom Leistungsgedanken oft so zerfressen, dass sie wissentlich Dinge nehmen, die ihnen schaden. Deshalb wäre die legale ärztliche Betreuung bei der Einnahme leistungsfördernder Substanzen eine Alternative zur gängigen Doping-Praxis. Sie garantiert zumindest eine verträgliche Dosierung. Jörg Jaksche sagte in seinem interessanten „Spiegel“-Interview, er habe sich bei den zwei Ärzten der Freiburger Uni-Klinik sehr gut aufgehoben gefühlt. Sie hätten ihn zum Beispiel vor der Einnahme von Insulin gewarnt, weil er dadurch zuckerkrank werden könne.
SZ: Wen finden Sie von den gefallenen Telekom-Helden denn besser in seiner Rolle: den auf Strafrabatt spekulierenden Kronzeugen Jaksche, der seine Doping-Beichte für 50 000 Euro an „Spiegel“ und „Spiegel TV“ verkaufte? Oder den reuigen Sünder Zabel? Oder doch Ullrich, der nach verbissenem Schweigen seinen geständigen Kollegen in der französischen Sportzeitung „L`Equipe“ jetzt Heuchelei vorwarf?
Brussig: Eigentlich gefällt mir Jaksche am besten, dass der einfach sagt, so war`s, ich sag euch das jetzt. Das hätte auch Ullrich machen können, die schwächste Figur von den dreien. Damit hätte er sich einen Rest an Würde bewahrt. Wie erniedrigend es für einen Sportler ist, unter diesen Bedingungen dopen zu müssen, um den Arbeitsplatz zu sichern, wird einem durch Jaksches Aussagen klar. Und auch die maßlose Haltung der Sportkonsumenten, die ständig neue Hochleistungsexzesse einfordern. Deshalb fand ich den Bummelstreik der Tour-Fahrer vom Dienstag, die sich nicht über 238,5 km quälen wollten, auch gut.
SZ: Das einstige DDR-Radsportidol „Täve“ Schur diente Uwe Johnson als reale Vorlage für seinen deutsch-deutschen Roman „Das dritte Buch über Achim“. Wäre nicht auch das Scheitern des unbedarften Rostocker Jungen Ullrich in der westdeutschen Erfolgsgesellschaft ein Romanstoff, stellvertretend für zerplatzte Träume vieler Ostdeutschen?
Brussig: Dazu hat Jan Ullrich seinen Sport nie so ernst genommen, wie ich es von einem Leistungssportler erwarte. Die absolute Unbedingheit hat mir da gefehlt. Dadurch, dass er von der ganzen Einstellung her nicht bis ans Limit gegangen ist, ist sein Scheitern keine Tragödie, sondern nur konsequent. Auch habe ich ihn nie als ostdeutschen Sportler gesehen. Er hatte für mich etwas Herkunftsloses.
SZ: Ullrich war einer der jungen Sportler aus der DDR-Talentförderung, die in der wiedervereinigten Republik schnell zu Ruhm und Geld kamen. Wie die Läuferinnen Katrin Krabbe und Grit Breuer oder die Schwimmerin Franziska van Almsick.
Brussig: Die Talentförderung in der DDR war exzellent. Das Thema Doping ist nach der Wende benutzt worden, um das ganze Sportsystem zu entsorgen. Damals kam der Begriff des Besserwessis auf, es war auch im Sport von Abwickeln und Okkupation die Rede. Dabei ist es zu kurz gegriffen, die Erfolge des DDR-Sports auf Doping zu reduzieren. Etwa Eiskunstlaufen ist eine Sportart, in der man mit Doping wohl kaum etwas ausrichten kann.
SZ: Katie Witt wird das gern bestätigen. Dennoch sind viele große DDR-Erfolge offensichtlich mit Hilfe unerlaubter Substanzen erreicht worden. Wie war es für Sie, als das publik wurde? Waren Sie wütend darüber, jahrelang getäuscht worden zu sein?
Brussig: Ich hatte es geahnt. Enttäuscht, ja geradezu empört war ich, als sich der Trainer Springstein eine Solidarisierung mit dem Schlachtruf Jetzt wollen die auch noch unseren Sport kaputt machen! erschlichen hatte. Die Erregung im Osten war groß, als Springsteins Athletinnen Krabbe und Breuer Doping unterstellt wurde. Wir Ostler nahmen ihm die Unschuldsbeteuerungen ab – bis er wieder erwischt wurde.
SZ: Gedopt wurde auch in der angeblich sauberen BRD, wie man heute weiß. Aber da gibt es, anders als in der früheren DDR, keine spektakulären Rekorde, die man annullieren könnte. Wie reagiert denn die empfindsame ostdeutsche Seele auf Erwägungen, angesichts verschärfter Dopingkontrollen unerreichbar scheinende Bestleistungen zu streichen?
Brussig: Auch im Osten bestreitet niemand, dass viele Rekorde von DDR-Sportlern mit Doping zustande gekommen sind. Aber nehmen wir eine Birgit Fischer aus Potsdam: Die hat seit 1980 bei allen Olympischen Spiele gewonnen, bei denen sie angetreten ist. Es gab in der DDR auch Spitzenathleten, die Doping nicht nötig hatten.
SZ: Die frühere DDR-Sprinterin Ines Geipel, Schriftstellerin und Professorin an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, möchte ihren Namen wegen Dopings aus der Rekordliste tilgen. Dagegen beharrt die dopingverdächtige Marita Koch darauf, bei ihrem vor fast 22 Jahren gelaufenen, immer noch gültigen Fabel-Weltrekord über 400 Meter sauber gewesen zu sein.
Brussig: Ines Geipel hat sich von ihrer eigenen sportlichen Erfolgsgeschichte komplett gelöst, sie attackiert sie sogar. Das kann man nicht unbedingt verlangen. Ich kann Marita Koch verstehen, denn die Forderung, ihre Rekorde herzugeben, geht damit einher, ihre Leistung als Sportlerin überhaupt abzuwerten. Ihr Journalisten könntet ein Klima schaffen, in dem Marita Koch das Gefühl hätte, durch ein Doping-Geständnis an Größe zu gewinnen. Ich verstehe, dass sie ihre Lebensleistung verteidigen will. Aber sie bliebe auch eine große Sportlerin, wenn sie sagen würde: Der Rekord ist unter Voraussetzungen entstanden, die heutige Athleten nicht haben.
SZ: Was bedeuteten die sportlichen Erfolge in den siebziger und achtziger Jahren für das kollektive Selbstbewusstsein in der DDR? Verdrängte man wegen einer Kati Witt oder eines Roland Matthes die Beschränkungen des Alltags?
Brussig: Was 1989 passiert ist hätte auch stattgefunden, wenn die DDR in den Medaillenspiegeln immer auf Platz eins gestanden hätte. Aber wir waren schon stolz, dass unsere Leute die Amerikaner oder Russen schlugen. Mein Held war, neben Fußball-Torwart Jürgen Croy, der zweifache Marathon-Olympiasieger Waldemar Cierpinski. Dieses laufen, laufen, laufen und nicht aufhören, das konnte ich mir auch für mich vorstellen. Bei den Olympischen Spielen 1972 in München hat mich Frank Shorter so fasziniert, dass ich noch während der Fernseh-Übertragung rausgerannt bin und in einem Rondell vor unserer Wohnung in Berlin-Mitte 64 Runden gedreht habe. Als Siebenjähriger. Eine Runde hatte 100 Meter, das habe ich ausgemessen. Ich wäre noch länger gelaufen, aber als es regnete kam eine Ärztin aus ihrer Praxis und sagte: Du musst jetzt hoch, sonst erkältest du dich.
SZ: Und so einen Jungen haben die vielen Talentspäher übersehen?
Brussig: Durchaus nicht. Ich war dann ja auch Mittel- und Langstreckenläufer. Aber gewonnen habe ich nur, wenn die Besten nicht da waren.
SZ: Für das Wochenblatt „Die Zeit“ sind Sie ein „Mediator im deutsch-deutschen Gefühlsstau“. Was läuft falsch mit der inneren Einheit?
Brussig: Es ist im Zuge der Einheit verpasst worden, ein Gefühl zu erzeugen, dass etwas gemeinsames Neues entsteht. Im Osten war klar, jetzt wird alles anders. Und im Westen war genauso klar, bis auf Soli und Hauptstadtumzug bleibt alles beim Alten. Ich habe den Eindruck, wenn Deutschland im Ausnahmezustand ist, haben wir die innere Einheit. Ein solcher Ausnahmezustand kann ein Karneval sein wie die Fußball-Weltmeisterschaft oder eine Katastrophe wie das Elbehochwasser. Auch würde sich das ganze Land bei einem terroristischen Anschlag angegriffen fühlen, egal, ob er Dresden, Berlin, Hamburg oder München trifft. Aber sowie uns der Alltag wieder hat, ist man auch in den alten Mustern.
SZ: Ein Mentalitätsproblem?
Brussig: Mehr ein soziologisches. Die Arbeitslosigkeit ist im Osten viel höher als im Westen, die Vermögensverteilung so ungleich wie die Besetzung von Führungspositionen ...
SZ:...die Kanzlerin kommt aus dem Osten.
Brussig: In der Politik und der Kunst sehe ich auch Chancengleichheit. Aber was ist mit Führungspositionen in den Medien, in der Wirtschaft, in der Armee? So lange dieses Ungleichgewicht besteht, wird es keine innere Einheit geben.
SZ: Und so lange wärmen sich die Menschen an der Ostalgiewelle.
Brussig: Früher war es immer schöner, das trifft auf alle Zeiten und alle Gesellschaften zu. Der Mensch ist nun mal so konstruiert, auch der, der aus der DDR kommt. Die Ostalgie erscheint deshalb so seltsam, weil hier etwas auseinander fällt: Das, was das Volkserinnern ausmacht, und die offiziöse Beschäftigung mit dem Staat. Weil sie sich nicht an den Alltagsphänomenen entlang arbeiten, kommen Historiker oder Juristen zu einem völlig anderen Urteil als die Menschen in ihren Lebenserzählungen. Der Stasi-Knast in Hohenschönhausen war eben für die meisten Ostler nicht Alltag.
SZ: Auch in den Filmen „Sonnenallee“ oder „NVA“, für die Sie zusammen mit Leander Haussmann das Drehbuch schrieben, wird die DDR eher von der heiteren Seite betrachtet. Dasselbe gilt für „Good bye, Lenin“. Florian Henckel von Donnersmarcks Oscar-gekröntes Werk „Das Leben der Anderen“ hingegen zeigt den Überwachungsstaat in seiner ganzen Perfidie.
Brussig: „Das Leben der Anderen“ ist eine Kinolüge, die im Westen mit der Wahrheit verwechselt wurde, während „Sonnenallee“ eine Kinolüge ist, die im Osten mit der Wahrheit verwechselt wurde. Der Kern jeder Komödie ist die Tragödie. Wenn etwas Zeit vergangen ist, wenn man weiß, die Mauer wird keine weiteren Opfer mehr hervorbringen, kann man darüber Komödien machen. Für eine KZ-Komödie mußte etwas mehr Zeit vergehen, aber es gibt sie. Bei einem Südafrika-Besuch neulich habe ich gesagt: Irgendwann wird man auch über die Apartheid Komödien machen können. Auch Henckel von Donnersmarck hat, ich sage es mal ein bisschen salopp, aus der DDR Kintopp gemacht. Das ist wunderbar, zumal es Kintopp auf Oscar-Niveau ist.
SZ: Sie leben abwechselnd im Sommerhaus in Mecklenburg und in Berlin. Finden Sie die Hauptstadt auch „arm, aber sexy“, wie Ihr Regierender Bürgermeister?
Brussig: Da hat er den Nagel auf den Kopf getroffen.
SZ: Im „SZ-Magazin“ machen sich Autoren Sorgen um den Mythos Bayern, weil Siemens falsch spielt, die CSU verrückt und der FC Bayern im Uefa-Cup. Einer rät allerdings allen Zweiflern an bajuwarischer Stärke zum Berlin-Besuch: „Dort kann jeder sehen, was unten sein wirklich bedeutet.“ Ein typischer Fall westdeutscher Überheblichkeit oder doch eher eine realistische Einschätzung?
Brussig: Berlin ist nicht unten, aber natürlich das Kontrastprogramm zu München. Als Münchnerin musst du erst mal eine Stunde vor dem Spiegel stehen, ehe du dich auf die Straße traust. Du musst dir Klamotten zulegen, die 800 Euro kosten, sonst gehörst zu zum Plebs. In Berlin kannst du rumrennen, wie du willst, und keinen interessiert es. Es gibt kein Dogma, wie der Berliner zu sein hat.
SZ: Wie passt denn der FC Bayern in dieses Bild?
Brussig: Zu denen habe ich ein schizophrenes Verhältnis. Sie spielen oft wirklich den schönsten Fußball, ich gebe es ja zu, sie sind karitativ, wirtschaften vernünftig, und, und, und. Eigentlich kann man nichts Schlechtes über Bayern München sagen. Trotzdem bin ich immer voller Schadenfreude, wenn die Bayern verlieren. Außer bei internationalen Spielen. – Hertha hingegen gurkt so rum, als Zuschauer im Olympiastadion hat man keine gute Sicht, und ich bin mir nicht sicher, ob das ein Nachteil ist – trotzdem ist das Stadion meist super besucht.
SZ: Woher kommt die Aversion?
Brussig: Die ist völlig irrational. Bei jeder sachlichen Diskussion darüber würde ich einbrechen.
SZ: Wie wichtig für die ostdeutsche Psyche sind die Erfolge des Thüringers Hans Meyer im Westen? Nach dem DFB-Pokalsieg mit Nürnberg wurde er zum „Trainer des Jahres“ gewählt.
Brussig: Meyer ist eine Romanfigur! Mit der Wende hat er die Erfahrung vieler Ostdeutscher gemacht, dass seine Fähigkeiten entwertet wurden und er keine Angebote bekam, die seinem Können entsprachen. Er musste in der zweiten und sogar der dritten Liga trainieren. Erst Ende der neunziger Jahre begann mit Mönchengladbach der kometenhafte Aufstieg. Diese Bestätigung ist ganz wichtig, die erlebt er stellvertretend – und darüber wird er auch zur Identitätsfigur. Er ist nicht der einzige Ostler, der mehr kann, als er nach der Wende zeigen durfte.
SZ: Was lesen wir als nächstes von Ihnen?
Brussig: Ich laß mal einen Schiedsrichter ausführlich zu Wort kommen. Schiedsrichter sind die letzten sachlichen, trockenen Typen in einem von Leidenschaften völlig überschwemmten Terrain. Das Büchlein ist gerade fertig geworden und erscheint im Herbst.
SZ: Für Ihr letztes Werk „Berliner Orgie“ gab es mächtig was auf die Mütze. Sie haben [im Auftrag einer Berliner Boulevardzeitung] die Hauptstadt-Bordelle getestet. Allerdings verzichteten Sie Ihrer Ehefrau zuliebe angeblich auf Sex. Das sei ungefähr so, hieß es nicht ohne Grund, als begnüge sich der Restaurant-Kritiker mit einer Beschreibung der Tischdekoration.
Brussig: Über das Rotlichtmilieu wird viel geredet, aber viele Menschen kennen es gar nicht, beispielsweise so ziemlich alle Frauen – es sei denn, sie haben da gearbeitet. Dass ich nun mal losgehe und beschreibe, wie geht es da so zu, das ist aller Ehren wert. Und um das beschreiben zu können, muss ich nicht Sex haben.
SZ: Besonders lobend erwähnen Sie das „Artemis“, zu Zeiten der Fußball-Weltmeisterschaft in Stadionnähe offenbar besonders günstig gelegen. Klären Sie uns auf: Wie hat man sich WM-Fieber im Puff vorzustellen?
Brussig: In einem der zwei Porno-Kinos liefen Fußballübertragungen. Nach dem Spiel leerte sich das Stadion und das Artemis füllte sich. Wie es weiterging, können Sie selbst nachlesen.
Wir nehmen doch alle irgendetwas, Interview: Ludger Schulze, Kurt Röttgen, Süddeutsche Zeitung, 14./15.7.2007