Schiedsrichter Fertig: Die Fragen stellte Michael Reinsch, FAZ, 22.10.2007
Herr Brussig, der erste Satz Ihres neuen Buches „Schiedsrichter Fertig“ beginnt „Als ich das Gerichtsgebäude verließ...“ Handelt es von Robert Hoyzer?
Nein. Hoyzer war korrupt, aber das sind wir ja im Prinzip alle. Wir hören ein Kompliment – und fallen um. Richtige Schiedsrichter lasen sich von Zehntausenden beschimpfen und auspfeifen – und stehen darüber. Höchste Zeit,daß sich die Literatur mal für einen Schiedsrichter interessiert.
Ihr Mann diskreditiert die Demokratie, indem er sie mit dem Publikumsjoker vergleicht...
Der Publikumsjoker ist ein starkes Argument für die Weisheit der Masse. Trotzdem würde niemand das Publikum fragen: Drin oder nicht?
Demokratiekritik ist ja nichts Neues. Über die Frage, ob Eliten autoritär oder Massen demokratisch entscheiden sollen, denken Schiedsrichter natürlich anders als Politiker oder Quotenjunkies. Das Stadion tobt und brüllt, doch der Schiedsrichter steht zu seiner Entscheidung. Wie soll so einer hoch von der Demokratie denken?
Ist das Spiel stärker als jeder, der Einfluss darauf nimmt? Die Verteidigung von Hoyzer hat immer argumentiert, ihm sei es meistens gar nicht gelungen, das Spiel in seinem Sinn zu drehen.
Ein Spiel wie Spiel San Marino - Deutschland kann auch ein Schiedsrichter nicht entscheiden. Ich glaube allerdings, dass selbst Spiele, die normal 3:0 ausgehen, von einem parteiischen Schiedsrichter umgebogen werden könnten. Man sollte die Schiedsrichter dazu befragen. Es gehört allerdings zu ihrer Integrität, dass sie darauf keine klare Antwort geben. Sie spielen ihre Rolle eher runter.
Sie verstecken sich hinter den Regeln?
Das geht nicht mehr. Früher war es für die Spieler Ehernsache, Regeln einzuhalten. Heute sind Regeln etwas, das für den Gegner zum Problem werden soll. Spieler schaffen Situationen, in denen der Gegner die Regeln verletzen muss. Damit wird der Schiedsrichter in das Spiel hineingezerrt.
Wir kennen das: Der Stürmer fällt im Strafraum und guckt im Fallen nach dem Schiedsrichter.
Sie meinen nicht die Schwalbe, sondern ein echtes Foul...
Wie echt ist ein Foul noch, wenn ich gefoult werden will? Ist ein Spieler rot gefährdet, wird der beste Spieler der Gegenmannschaft gegen ihn gestellt wird, um ihn zu noch mehr Fouls zu verleiten. Klose gegen die Schweden bei der WM war wohl so ein Fall; der Verteidiger Teddy Lucic musste schon in der ersten Halbzeit gehen, weil er sich nicht anders als mit echten Fouls zu helfen wusste.
Marcel Reich-Ranicki hat gesagt, dass Sport und Literatur sich ausschließen. Warum trauen Sie sich trotzdem schon wieder, ein Buch über Fußball zu schreiben?
Ein Fußballbuch darf nie an den Punkt kommen, an dem sich der Leser fragt: Wie geht es aus? Ein Spiel ist ein Prozess, in dem nichts verworfen wird. Ein Buch oder ein Film bietet das, was nach dem Verwerfen übrig bleibt. Aber es geht im Sport oft um Dinge, die man aus dem normalen Leben kennt. Die Fragen von Ehrgeiz, von Niederlagen, kränkender Unterschätzung. Da wird finden sich in einem unliterarischen Gebiet ur-literarische Themen.
Freuen Sie sich auf ein Sportbuch?
Fußballbücher sind oft der reinste Trash. Ich bin meist froh, nach zwei, drei Dingern wieder richtige Literatur lesen zu dürfen. Allerdings:
Gunter Gebauers „Poetik des Fußballspiels“ fand ich sehr klug. Ein gutes Sportbuch hat bei mir immer eine faire Chance.
Michael Reinsch, FAZ, 22.10.2007