Thomas Brussig über DDR-Nostalgie, Sex, sozialistische Perversion und seinen Roman »Helden wie wir«


W Wann haben Sie mit der Arbeit an »Helden wie wir« begonnen?

Angefangen habe ich an einem Tag im Februar 1992. Ende 1991 gab es ein Klassentreffen, das hat mich total bewegt. Ein Vierteljahr später habe ich mich dann hingesetzt und geschrieben. Ich hatte auch den »Gefühlsstau« von Hans-Joachim Maatz gelesen und »Portnoys Beschwerden« von Philip Roth. Da habe ich gemerkt, wie wirksam es sein kann, über Sexualität zu schreiben, wenn man kein Blatt vor den Mund nimmt.

W Das klingt alles bierernst. Nun gibt es ja in Ihrem Buch eine Menge zu lachen.

Als ich mein erstes Gespräch beim Verlag Volk & Welt hatte, haben die mir gesagt: »Wissen Sie, Ihr Manuskript ist
bei uns durch lautes Lachen bekannt geworden. Wir wußten, wer es gerade liest, weil aus dem Zimmer immer großes Gelächter kam!«

W Ihr Thomas Uhltzscht ist ja auch ein bedauernswerter Mensch, den die Verhältnisse zu einem verklemmten Typen gemacht haben. Alles ist so genau beschrieben, daß man den Eindruck hat, es seien Ihre Erfahrungen.

Da habe ich mir auch viel von anderen erzählen lassen. Geboren bin ich im Prenzlauer Berg, nicht im Neubaugebiet Frankfurter Allee-Süd, aufgewachsen bin ich in der Rathauspassage am Alex. Meine Eltern waren nicht in der Partei. Meine Mutter arbeitet mit schwerbehinderten Kindern, mein Vater ist Diplomingenieur und nicht Stasi-Mitarbeiter. Aber da war irgendwie alles eingetaktet. Wir haben immer in derselben Wohnung gewohnt, meine Eltern haben immer denselben Job gehabt, immer dieselbe Ehe geführt. Und dieses Grundgefühl von Stabilität, ja, daß Veränderung etwas Zerstörendes ist, hat mich irgendwie geprägt. Allein die Vorstellung, daß ich heute nicht weiß, wie es im nächsten Jahr weitergeht, jagt mir Angst ein.

W Sie haben dann mit 17, 18 Jahren angefangen zu schreiben.

Damals lebte ich noch zu Hause, da habe ich immer nachts geschrieben, wenn alle schliefen. Ich. habe das jahrelang vor meinen Eltern geheimgehalten, und habe mich erst geoutet, als der erste Roman im Verlag war.

W Das war »Wasserfarben«, unter dem Pseudonym Cordt Berneburger.

Angefangen habe ich mit dem Roman, da war ich 20 und wußte nicht, was ich werden will. Und davon handelt auch der Roman. Ich wußte zwar, daß es Wahnsinn ist, einen Roman zu schreiben, aber ich habe mich durchgebissen.

W Sie haben, wie das in der DDR hieß, eine Berufsausbildung mit Abitur gemacht und kamen dann zur Armee.

Ich kam zur Bereitschaftspolizei, und das war der pure Faschismus. Das hat mich wirklich erschlagen. So eine Tendenz, die Menschen zu brechen und zu demütigen. Und was ich nie für möglich gehalten hätte, daß ich schließlich auch so einer wurde. Ich habe das lange Zeit als große Last empfunden. Das war eine Erfahrung, die ich dem System sehr übelnehme, daß ich da in solche Abgründe geschaut habe, und wer saß unten: icke.

W Mit der Armee setzen Sie sich in Ihrem neuen Roman kaum auseinander, um so mehr aber mit der Staatssicherheit. Hatten Sie mit der Berührungspunkte?

Ja, bei der Bereitschaftspolizei. Ich habe Tagebuch geführt, und das war verboten. Mein Schrank ist durchschnüffelt worden, und dann hat man auf dem Appell daraus vorgelesen und das Ding dem Militärstaatsanwalt übergeben. Da hat mir einer gesagt, da gibt es einen, sprich mal mit dem, wie du deine Scharte wieder auswetzen kannst. Irgendwie war mir klar, der ist bei der Stasi. Ich wollte auf keinen Fall in den Knast, aber auch nicht zur Stasi und Freunde verpfeifen. Ich bin dann am nächsten Tag zu diesem Stasi-Offizier gegangen mit dem Entschluß, o.k. zu sagen, aber den Kontakt zu all meinen Freunden abzubrechen. Zum Glück hat der mir dann die Angst genommen und mich nicht angeworben. Einer von der Stasi! Jemanden, der aus Angst IM geworden ist, kann ich gut verstehen. Ich finde nur wichtig, daß die Leute sagen, warum.

W Die Stasi und der Sex, das sind die beiden Grundprobleme Ihres »Helden« Klaus Uhltzscht. Wobei der Sex das größere Problem für ihn ist.

Mit sexuellen Verklemmtheiten kenne ich mich aus. Ich habe das alles ausgeschmückt, übertrieben und konsequent zu Ende geführt. Der Typ wird ja pervers. Man hat ja immer vom pervertierten Sozialismus gesprochen, und ich wollte unbedingt die sozialistische Perversion aufzeigen.

W Beim Lesen spürt man deutlich, daß Sie mit Christa Wolf eine Rechnung zu begleichen haben.

Eigentlich prügle ich da den Sack und meine den Esel. Ich glaube, wenn man irgendwas über die Generation meiner Eltern wissen will, kommt man an Christa Wolf nicht vorbei. Ich kenne die Mentalität vieler Wolf-Leserinnen, die wollen dich immer vor irgendwas bewahren. Wenn du dir im System deine Prügel geholt hast, dann konntest du dich zu ihnen ans Feuer setzen, und sie haben deine Sachen getrocknet. Aber wenn es hieß: Los, auf in den Kampf, Gesellen, dann hat es ihnen ausgereicht, ein Christa-Wolf-Buch zu lesen.

W Wir haben uns hier sehr ernsthaft unterhalten, während »Helden wie wir« ständig zum Lachen reizt, wenn auch zu einem bitteren.

Das Buch ist wirklich ein Bretterknaller, aber es soll Anlaß sein, daß man sich ernsthaft und gründlich unterhält und sich über die DDR-Vergangenheit klar wird. Wenn wir uns über unser Versagen und die Gründe unseres Versagens klar werden. Dann wären wir sicher die interessanteren Mitglieder unserer Gesellschaft, dann bringen wir eine gewisse Sensibilität dafür mit, wo Menschen sich verbiegen und Dinge tun, die ihnen eigentlich zuwider sind. Ich habe gehofft, genauso wie es 68er gegeben hat, wird es 89er geben. Heute ist diese Hoffnung schwächer denn je. Insofern ist die DDR wohl wirklich untergegangen.


Barbara Felsmann: Wochenpost, Nr.39 vom 21.9.1995. S. 40-41.