Helden wie wir" ist der Zwillingsfilm zur "Sonnenallee". Aus beiden Filmen kommt man gesünder heraus als man hineingegangen ist. Oder auch nicht. Je nach Gefühlsstau vielleicht. Es sind Filme über die Mauer, die Stasi, die DDR - die Da Da eR, wie Wenzel und Mensching sie genannt haben, als sie als Clowns Meh und Weh ihr Abschiedsbegängnis unternahmen. Das war 1990, vielleicht zu früh für eine absurde Politrevue über das kleine, kaputte, untergegangene Land, in dem es trotz allem auch Frühling, Sommer, Herbst und Winter gab. Da Da eR, das ist jedenfalls der Schlüssel.
"Sonnenallee" dampfte den Ort der Handlung, die Ostseite der Sonnenallee, zu einem exemplarischen Kulissenstadl ein, in dem das Pappmaché offensichtlich ist, die Jugend Hüfthosen, Stielkamm und FDJ-Hemd trägt und der Abschnittsbevollmächtigte Freund und Feind dieser Jugend ist. Die Mauer, so nah, bietet diesseits Heimat und jenseits Freiheit. In hippiesker Unbekümmertheit tanzen Episoden und Erinnerungen, Spaß und Satire springen im Rückwärtssalto -zwischen Muckefuck und Sonnenblumen für Angela Davis und Grenzern, die auch schießen. Natürlich sagen Leute, die die Sonnenallee-Ost durch und durch kennen: Das ist nicht unsere Sonnenallee. Und Leute, die nie dort waren, werden den Filmemachern Thomas Brussig und Leander Haußmann bestätigen: Genauso war's in unserer Sonnenallee-DDR. Auch "Helden wie wir" wird an etwas gemessen werden, woran sich Kino höchst selten messen lassen muss: am empfundenen Wahrheitsgehalt. Es ist wie mit dem Osten überhaupt.
"Helden wie wir" entstand nach dem Roman von Thomas Brussig, der vom Westen erleichtert zum Wenderoman erklärt wurde. Es ging um Klaus, seine Verklemmungen, seine Schwanz- und Sexprobleme und sein Stasileben. Das wurde alles zusammengespannt und wirkte nicht nur grotesk, sondern zugleich bemüht unverschämt. Die Mauer fiel schließlich, weil Klaus seine Hose aufmachte. Die friedliche Revolution war eine feige Veranstaltung von Duckmäusern. Das war Brussigs Provokation. Alles, was das Buch an Hier-spricht-der-Autor-Ausführungen, Ausrufezeichen und Angebereien beschwerte, wurde fürs Kino gestrichen. Der Film macht seine Sache nun besser als der Roman. Er hat einen Menschen als Mitte und auch so etwas wie eine Geschichte: den Lebenslauf des Helden Klaus, der lange braucht, bis er zu sich und seiner Liebe findet.
Klaus entwickelt sich hier nicht mehr zum Broiler-Ficker, manischen Wichser und Zyniker, sondern bleibt ein blonder Tor. Ein Jungpionier, ein dünnes unterdrücktes Kind mit Lederhose, das nicht in der turbulenten Familie der Sonnenallee aufwächst, sondern in der absolut demokratielosen Familie Uhltzscht. Mutter, Vater und Kind. Sie ist Hygieneinspektorin, er ist "beim Außenhandel, Klaus, das weißt du doch" (Kirsten Block und Udo Kroschwald als Eltern ohne Liebe). Die Familie mit dem Sachsennamen wohnt in der Magdalenenstraße, gegenüber dem riesigen Mielke-Komplex. Man kann das Gebäude vom Kinderzimmer aus sehen. Es ist nur eine Projektion, aber das ist der ästhetische Trick des Filmes, und er funktioniert.
Regisseur Sebastian Peterson hat Bilder, Filmmaterial und betuliche Erzählstile aus DDR-Zeiten in seine Handlung hineingenommen und gepuzzelt. Vor dem Wohnzimmerfenster des Uhltzscht-Heimes läuft ein Animationsfilm: Aufbaufröhlichkeit mit Kran und Betonplatten, helle Zukunft im Strichmännchen Format. Es ist zum Wegschmeißen lustig. Es ist nachsichtig und böse. Es ist Da Da eR. Das Observationsauto mit den Stasi-Leuten steht wie ein Ufo in den alten Berliner Straßenaufnahmen. Ein Fremdkörper in einer Wirklichkeit, die sichtbar anders beschaffen ist als dieser selbst. Da verschränken und da trennen sich Welten.
Der Film erzählt sich in Episoden fort, und wer das Buch kennt, der kennt auch ein paar Pointen schon. Ein paar. Viele nicht: Als Klaus zur Welt kommt, schiebt sich draußen vorm Fenster ein Panzerrohr mit Panzer dran vorbei. Der stoppt. Der Vater macht das Fenster auf und beantwortet auf Deutsch die russische Frage: Wohin geht es nach Prag? - Da lang. Dann macht Vater das Fenster wieder zu. Die Mutter presst weiter. Endlich kommt Klaus. "Und was isses? - Tja, schwer zu sagen, ich denk, es ist ein Junge." Der Ton ist heiter, die Szene schwarzweiß, im 60er-Jahre-Stil.
Später geht der Film mit den Zeiten und entwickelt eine Farbigkeit, die dann samt DDR und der DEFA untergegangen ist. So gewinnt das Kinostück besondere Schwingungen aus realem Sozialismus und sozialistischem Realismus. Es kann einem auch sehr seltsam zu Mute werden, wenn man wieder mitten im Neubaugebiet steht und der weite Kamerablickwinkel eine ganz besondere Art von Sonntagsstille und Leere einzufangen weiß. Einmal reißt Achim Mentzel eine Wohnungstür auf. Er liefert das Bild eines dicken Heinis im Unterhemd. Er gibt sich eins zu eins her dafür. In der "Sonnenallee" war es noch Winfried Glatzeder, der freundlich seine Tür aufschloss.
Das Beste an "Helden wie wir", an dieser Geschichte vom kleinen Klaus, dem Flachschwimmer und Sachenverlierer und Stasi-Mann, ist die Naivität, ja der Kinderglaube, mit dem die DDR beim Wort genommen wird. Arbeiterführer Ernst "Teddy" Thälmann marschiert in Klaus' Vorstellung wirklich als Teddy auf. Ein dicker, guter, puschliger Freund. Bestarbeiter Adolf Hennecke schultert seinen Bohrhammer wie ein Gewehr, der kleine Trompeter gesellt sich dazu, und wer im Sozialismus lebt, hat es "gut". Es gibt "keine Attentate, neue Häuser, genug zu essen". Und außerdem "Beifall, starken Beifall, stürmischen Beifall und lang anhaltenden Beifall". Dazu laufen die Bilder im Zeitraffer und verdichten sich zu ironischen Mosaiken. Der Film ist auf Klausis Seite. Das ist erfreulich.
Kein DDR-Film ohne DDR-Utensilien. Dieser peilt keinen Kultstatus an; obwohl er viel aufbietet: Berliner Ballhaus, Pionierwimpel, Schultreppen, Klappfahrräder, Neubauwohnung mit Durchreiche und mit Bockwurst und Sandmännchen zum Abendbrot. Man sieht auch diese graugeriffelten Umschläge für Schulbücher wieder, die wir hatten und die sich auch der Film beschafft hat und die einen zwischen Meh und Weh und Ostalgie-Ekel schubsen. Man möchte Westlern im Kino ungern unsere grauen Buchumschläge als neuerlichen Beweis für unsere Grauheit vorgeführt sehen, aber in dieser Hinsicht ist wohl eh nichts mehr zu verderben, und das liegt nicht nur am Osten.
Birgit Galle: Die DDR beim Wort genommen, in: Berliner Zeitung vom 9. November 1999.